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Das dritte Licht

Author/Uploaded by Claire Keegan


 
 
 
 
 
 Claire Keegan
 
 DAS DRITTE LICHT
 
 Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
 
 Erzählung / Steidl
 
 
 Für Ita Marcus und zum Gedächtnis an David Marcus
 
 
 Inhalt
 
 Cover
 
 Titel
 
 Kapitel 1
 
 Kapitel 2
 
 Kapitel 3
 
 Kapitel 4
 
 Kapitel 5
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 Claire Keegan
 
 DAS DRITTE LICHT
 
 Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
 
 Erzählung / Steidl
 
 
 Für Ita Marcus und zum Gedächtnis an David Marcus
 
 
 Inhalt
 
 Cover
 
 Titel
 
 Kapitel 1
 
 Kapitel 2
 
 Kapitel 3
 
 Kapitel 4
 
 Kapitel 5
 
 Kapitel 6
 
 Kapitel 7
 
 Kapitel 8
 
 Danksagung
 
 Impressum
 
 
 1
 
 An einem Sonntagmorgen, nach der Frühmesse in Clonegal, fährt mein Vater, statt mich nach Hause zu bringen, ins tiefste Wexford, zur Küste, wo die Leute meiner Mutter herkommen. Es ist ein heißer Tag, strahlend hell, mit Mustern aus Schatten und jähem grünlichem Licht entlang der Straße. Wir fahren durch das Dorf Shillelagh, wo mein Vater bei einer Partie Forty Five unser rotes Kurzhornrind verloren hat, dann am Viehmarkt von Carnew vorbei, wo der Mann, der die Färse gewonnen hat, sie kurze Zeit später wieder verkaufte. Mein Vater wirft seinen Hut auf den Beifahrersitz, kurbelt das Fenster herunter und raucht. Ich schüttele mir die Zöpfe aus dem Haar, strecke mich auf der Rückbank aus und schaue aus dem Heckfenster. Mal ist ein klarer blauer Himmel zu sehen, mal ein mit Wolken geweißter, meist aber eine aufregende Mischung aus Himmel und Bäumen, zerteilt von Stromleitungen, über die hin und wieder kleine Scharen bräunlicher Vögel jagen, die gleich wieder verschwinden.
 
 Ich frage mich, wie es wohl bei den Kinsellas zu Hause sein wird. Ich sehe eine hochgewachsene Frau vor mir, die sich über mich beugt und mich zwingt, kuhwarme Milch zu trinken. Ich sehe eine andere, weniger wahrscheinliche Version von ihr, eine Frau mit Schürze, die Pfannkuchenteig in eine Bratpfanne gießt und mich fragt, ob ich noch einen möchte, so wie meine Mutter es manchmal tut, wenn sie guter Laune ist. Der Mann wird nicht größer sein als sie. Er wird mich auf dem Traktor in die Stadt bringen und mir rote Limonade und Kartoffelchips kaufen. Oder er wird mich zwingen, Schuppen auszufegen, Steine aufzulesen und auf den Wiesen Besenkraut und Ampfer zu jäten. Ich sehe ihn vor mir, wie er etwas aus der Hosentasche nimmt, ich hoffe auf ein Fünfzig-Pence-Stück, aber es ist nur ein Taschentuch. Ich frage mich, ob sie in einem alten Bauernhaus wohnen oder in einem neuen Bungalow, ob sie ein Klohäuschen haben oder ein Badezimmer mit Toilette und fließend Wasser. Ich stelle mir vor, wie ich mit anderen Mädchen in einer dunklen Schlafkammer liege und Dinge sage, die wir, wenn der Morgen kommt, nicht wiederholen werden.
 
 Eine Ewigkeit scheint zu vergehen, bis das Auto endlich abbremst und in eine schmale asphaltierte Auffahrt biegt, dann eine Erschütterung, als die Räder über die Metallstäbe eines Weiderosts rattern. Zu beiden Seiten dichte, rechtwinklig gestutzte Hecken. Am Ende der Auffahrt ein langgestrecktes weißes Haus mit Bäumen, deren Zweige auf dem Boden schleifen.
 
 »Da«, sage ich. »Die Bäume.«
 
 »Was is’ mit denen?«
 
 »Sie sind krank«, sage ich.
 
 »Das sind Trauerweiden«, sagt er und räuspert sich.
 
 Als wir auf den Hof fahren, spiegelt sich unsere Ankunft in hohen, glänzenden Fensterscheiben. Ich sehe mich von der Rückbank aus hinausschauen, wild wie ein Kesselflickerkind mit meinen aufgelösten Haaren, doch mein Vater am Lenkrad sieht immer noch aus wie mein Vater. Ein großer, nicht angebundener Jagdhund, dessen Fell gesprenkelt ist von den Schatten der Bäume, meldet sich mit einem halbherzigen rauen Bellen, dann setzt er sich auf die Türstufe und blickt in den Hauseingang, in dem jetzt der Mann steht. Er ist gedrungen wie die Männer, die meine Schwestern manchmal zeichnen, aber seine Augenbrauen sind weiß, passend zu seinem Haar. Er sieht überhaupt nicht aus wie die Leute meiner Mutter, die alle hochgewachsen sind und lange Arme haben, und ich frage mich, ob wir vielleicht beim falschen Haus gelandet sind.
 
 »Dan«, sagt der Mann und strafft sich. »Wie geht’s denn so?«
 
 »John«, sagt Da.
 
 Sie stehen da und schauen einen Moment lang auf den Hof, dann unterhalten sie sich über den Regen: dass so wenig Regen gefallen ist, dass die Felder Regen brauchen, dass der Priester in Kilmuckridge noch an diesem Morgen um Regen gebetet hat, dass man so einen Sommer noch nie erlebt hat. Es entsteht eine Pause, in der mein Vater ausspuckt, dann wendet sich das Gespräch den Rinderpreisen zu, der EWG, den Butterbergen, den Kosten von Kalk und von Räudebädern. Das bin ich schon gewohnt, diese Art der Männer, nicht zu reden. Lieber stoßen sie mit dem Stiefelabsatz eine Sode aus dem Gras, schlagen mit der Hand auf das Dach eines Autos, bevor es davonfährt, spucken aus, sitzen breitbeinig da, als wäre ihnen alles gleich.
 
 Als Mrs Kinsella herauskommt, beachtet sie die Männer gar nicht. Sie ist noch größer als meine Mutter und hat die gleichen schwarzen Haare, aber ihre sind gerade geschnitten, wie ein Helm. Sie trägt eine gemusterte Bluse und eine ausgestellte braune Hose. Die Wagentür wird geöffnet, und ich werde herausgehoben und abgeküsst. Mein Gesicht wird ganz heiß von ihren Küssen.
 
 »Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, lagst du noch im Kinderwagen«, sagt sie und tritt in Erwartung einer Antwort zurück.
 
 »Der Kinderwagen ist kaputt.«
 
 »Wie ist das denn passiert?«
 
 »Mein Bruder hat ihn als Schubkarre benutzt, da ist ein Rad abgegangen.«
 
 Sie lacht, leckte ihren Daumen an und wischt mir etwas aus dem Gesicht. Ich spüre, wie ihr Daumen, der weicher ist als der meiner Mutter, es wegwischt, was immer es sein mag. Als sie meine Kleidung mustert, nehme ich mein dünnes Wollkleidchen, meine staubigen Sandalen mit ihren Augen wahr. Dann kommt ein Moment, wo wir beide nicht recht wissen, was wir sagen sollen. Eine sonderbar reife Brise streicht über den Hof.
 
 »Komm rein, a leanbh, Kindchen.«
 
 Sie führt mich ins Haus. In der Diele einen Augenblick lang Dunkelheit; wenn ich zögere, zögert auch die Frau. Durch die Diele gehen wir in die Wärme der Küche, wo ich aufgefordert werde, mich zu setzen und mich wie zu

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