Author/Uploaded by Bettina Storks
Der Roman Dieulefit, 1965: Im Auftrag ihres Freiburger Radiosenders reist die Moderatorin Agnes in einen kleinen französischen Ort, wo im Zweiten Weltkrieg mehr als tausend Flüchtlinge Schutz fanden. Darunter viele jüdische Kinder, die in der Schule Beauvallon von den mutigen Dorfbewohnern versteckt wurden. Könnte auch Agnes’ Freundin Lily überlebt haben, von der...
Der Roman Dieulefit, 1965: Im Auftrag ihres Freiburger Radiosenders reist die Moderatorin Agnes in einen kleinen französischen Ort, wo im Zweiten Weltkrieg mehr als tausend Flüchtlinge Schutz fanden. Darunter viele jüdische Kinder, die in der Schule Beauvallon von den mutigen Dorfbewohnern versteckt wurden. Könnte auch Agnes’ Freundin Lily überlebt haben, von der seit zwanzig Jahren jede Spur fehlt? Welche Antworten hat ein damals ranghoher Résistance-Offizier? Agnes’ Recherche wird zu einer aufwühlenden Reise in die Vergangenheit, die sie mit der Macht des Schweigens und einem Versprechen von einst konfrontiert. Bestsellerautorin Bettina Storks erzählt nach wahren Begebenheiten von ergreifenden Schicksalen und dem Mut zum Widerstand. Die Autorin Bettina Storks, geboren bei Stuttgart, ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und Autorin. Sie war viele Jahre als Redakteurin tätig, bevor sie ihr erstes Buch veröffentlichte. Die Leidenschaft für Familiengeheimnisse und die Faszination für die deutsch-französische Geschichte vereint Bettina Storks immer wieder in ihren vielschichtigen Romanen. Die Autorin lebt und arbeitet am Bodensee. BETTINA STORKS Die Kinder von Beauvallon Ein Roman nach wahren Begebenheiten Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Copyright © 2023 by Diana Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover. Redaktion: Theresa Klingemann Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design, München Umschlagmotive: © Arch. École de Beauvallon; mauritius images/AA Images/Alamy/Alamy Stock Photos Motive Innenteil: © mauritius images/AA Images/Alamy/Alamy Stock Photos Fotos: Privatarchiv Bettina Storks Satz: Leingärtner, Nabburg Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-641-28103-8 V002 www.diana-verlag.de »Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.« Talmud PROLOG Sulzburg in Südbaden, 22. Oktober 1940 Obwohl es nicht sehr kalt war, stand Lily Blum mit zitternden Knien in der Morgendämmerung auf dem Marktplatz. Ein Befehl hatte heute Morgen die verbliebenen siebenundzwanzig Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Sulzburg nahezu zeitgleich erreicht: »Sie haben zwei Stunden Zeit bis zur Abfahrt. Einen Koffer pro Person, eine Decke, etwas Reiseproviant, hundert Reichsmark! Es geht auf Reisen, meine Herrschaften!« Die Männer hatten Schaftstiefel und Uniform getragen. Ihr Ton war so hart gewesen wie ihre Schritte. Aber daran hatten sie sich als Juden schon lange gewöhnt. In den Häusern um das Judenhaus waren Lichter angegangen, und schon eine Stunde später hatten sich Menschen in Bewegung gesetzt und schließlich wie befohlen auf dem Marktplatz vor dem Schloss versammelt. Im Hintergrund drangen durch den Oktobernebel die Umrisse der nahen Schwarzwaldhöhen, die stets über Lilys Heimatort wachten. Geistesgegenwärtig hatte Lily all das, was sie am Leibe zu tragen vermochte, doppelt angezogen. Zwei Röcke, zwei Unterhosen, zwei Paar Strümpfe, Pullover und Strickjacke, darüber noch einen Mantel. Anstelle eines Koffers hatte sie eine Schultertasche, die ihrem Vater einst von einem Patienten zugedacht worden war, umgehängt und diese mit allerlei Dingen bestückt. Ihre Lieblingspuppe Rosalie, zwei Fotos, Stifte, Zeichenblock. Dinge, die eine Neunjährige für lebensnotwendig erachtete. »Wohin bringen sie uns?«, flüsterte eine Frau, die hinter Lily in der Schlange stand. Es war Frau Bloch, ihre Nachbarin. Die Uniformierten zwangen die Menschen, sich in Reih und Glied aufzustellen. Fragend sah Lily zu ihrem Vater auf, der ihre Hand fest umklammerte. »Herr Blum«, hörte sie hinter sich noch einmal Irene Blochs flehende Stimme. Seit Ewigkeiten kam die ganze Familie zur Behandlung. Lilys Vater war der einzige Dentist in der Gemeinde gewesen, aber bereits seit sieben Jahren durfte er nicht mehr praktizieren. In der Praxis seiner Villa, die sie einst bewohnt hatten und die ihres Erkers wegen so genannt wurde, war jetzt ein arischer Dentist zugange. Im nur zwei Häuser entfernten Judenhaus hatte Lilys Vater seine jüdischen Patienten weiter versorgt. »Ich weiß es nicht, Frau Bloch«, erwiderte er und drückte Lilys kleine Hand noch fester. »Nach Freiburg«, antwortete ein Mann. Mechanisch griff Lily in ihre Schultertasche, nahm die Fotos heraus und betrachtete sie verstohlen. Eines zeigte die ganze Familie vereint beim Chanukka-Fest mit vielen Kerzen auf dem Esstisch. Mama hatte der Familientradition zufolge alle aufgefordert, sich beim Entzünden ihrer Kerze etwas zu wünschen. Was hatte sich Lily gewünscht? Wahrscheinlich etwas, das ihr heute nicht weiterhalf. Einen Hund, eine Katze, einen Kanarienvogel oder einen Christbaum wie den ihrer Freundin Agnes? Agnes! Beim Anblick des gemeinsamen Fotos mit ihrer Freundin versetzte es ihr einen Stich. Jetzt hatte sie Agnes nicht einmal Auf Wiedersehen gesagt. Als Arierin gehörte Agnes Engler nicht hierher. Das mit der arischen Rasse, durch deren Adern angeblich ein ganz besonderes Blut floss, hatte die Lehrerin der Klasse erklärt, bevor sie vor zwei Jahren getrennt worden war. Fortan war Lily in die jüdische Zwangsschule nach Freiburg gegangen, wo sie unter der Woche bei Verwandten schlief und mit dem Bus an- und abreiste. Die Mädchen spielten weiterhin unten am Sulzbach auf der Brücke, wo sie sich schon immer ihre Geheimnisse anvertraut hatten. »Uns bringt keiner auseinander«, versprachen sie einander immer wieder. Agnes hatte Lily die Treue gehalten, auch wenn es ihren Eltern gar nicht gefiel. Ein Lastwagen näherte sich und bog auf den Marktplatz ein. Vor der Menschengruppe kam er zum Stehen. Rings um sie wurden Fenster geschlossen. Eilig schob Lily die Fotos in ihre Manteltasche. Jemand warf die Plane zurück, und die Menschen begannen einzusteigen. Eine Frau weigerte sich, schrie, weinte und wimmerte schließlich nur noch. Dann wurde sie von einem Uniformierten mit Gewalt auf die Transportfläche geschoben. Lily vergrub ihr Gesicht im Mantel ihres Vaters. »Nicht hinsehen, Lily«, vernahm sie dumpf die Stimme ihrer Mutter. In der Ferne entdeckte sie auf der Straße, keine hundert Meter von ihr entfernt, ein rennendes Mädchen
Author: Serena Akeroyd; Cassandra Robbins
Year: 2023
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