Author/Uploaded by Sinan, Marc
Marc Sinan Gleißendes Licht Roman upped by @surgicalremnants Über dieses Buch Türkisch, deutsch, armenisch. Eine Familiengeschichte zwischen drei Kulturen, voller Glanz, Tragik und Gewalt. Als der Berliner Komponist Kaan zu einem Stipendienaufenthalt nach Istanb...
Marc Sinan Gleißendes Licht Roman upped by @surgicalremnants Über dieses Buch Türkisch, deutsch, armenisch. Eine Familiengeschichte zwischen drei Kulturen, voller Glanz, Tragik und Gewalt. Als der Berliner Komponist Kaan zu einem Stipendienaufenthalt nach Istanbul reist, geht seine Welt entzwei: Deutlich und unerwartet überkommt ihn das Trauma seiner Großmutter, deren Familie bei dem Völkermord an den Armeniern ausgelöscht wurde. Kaan beginnt zu erinnern: an seine Großeltern, sie Armenierin, er Türke, die in den Jahren der Republik unter Atatürk zu Wohlstand kamen, um am Ende doch alles zu verlieren. An seine Mutter, die ihre türkische Heimat für ihren deutschen Mann hinter sich lässt. An seine eigene Kindheit, Besuche bei den Großeltern am Schwarzen Meer, die nach grünen Bohnen und salzigem Fisch schmeckten, nach der Wärme der Bağlama klangen und in den Farben der Wellen leuchteten … In allem war für den Jungen Musik. Und während Kaan erzählt, erfasst ihn ein Wunsch nach Rache: an einem türkischen Präsidenten, der den ersten großen Genozid der Moderne nach über hundert Jahren noch immer leugnet. Ein Roman, der ein ganzes Jahrhundert erzählt, von den 10er Jahren in der Türkei über München in den 80er Jahren bis ins Berlin der Gegenwart: Marc Sinans Debüt verfängt durch überbordende Fantasie, poetische Raffinesse und unbändige Erzähllust. Vita Marc Sinan wurde 1976 als Sohn einer türkisch-armenischen Mutter und eines deutschen Vaters geboren. Er ist Komponist und Gitarrist. Täter und Opfer und Völkermord: darum geht es in Marc Sinans Werk, u.a. dem Musiktheater "Komitas“, der Konzertinstallation "Hasretim (Meine Sehnsucht) - eine anatolische Reise" und dem Oratorium "Gleißendes Licht". In seinem ersten Roman, der ebenfalls den Titel "Gleißendes Licht" trägt, greift er diese Themen auf und verarbeitet sie zum ersten Mal literarisch. Marc Sinan lebt in Berlin. Impressum Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Februar 2023 Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages. Covergestaltung Anzinger und Rasp, München Coverabbildung Michael Schlegel Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen. Upper: upped by @surgicalremnants ISBN 978-3-644-01416-9 www.rowohlt.de Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe. Für Dich, Mimi, Du Liebe meines Lebens. Başka yerde nur içinde yatılacağına, burada nur içinde yaşanır . Statt im Jenseits im gleißenden Licht zu ruhen, lässt es sich hier darin leben. (Cevat Şakir, Halikarnas Balıkçısı , Der Fischer von Halikarnassos) Die Wahrheit ist eben kein Kristall, den man in die Tasche stecken kann, sondern eine unendliche Flüssigkeit, in die man hineinfällt. (Robert Musil) Oh, the rare old Whale, mid storm and gale In his ocean home will be A giant in might, where might is right, And King of the boundless sea Oh, der alte Wal, im Sturmgefecht, Ist in seinem Ozeanreich Ein Riese an Macht, wo Macht ist Recht, Und König im endlosen Teich (Herman Melville) wie wir doch hadern mit dem tod, bloss, unausweichlich wir ihn denken, bloss, die welt wär uns paradies, könnten wir ihn nicht sehn, doch auch zum sterben blass. Als er auf das offene Schwarze Meer hinausrudert, am windstillsten Tag dieses späten Frühlings 1915, ist Hüseyin fünfzehn Jahre alt. Zur gleichen Zeit schreibt ein namenloser deutscher Grenadier in einem polnischen Schützengraben diese letzten Zeilen vom Hadern mit dem Tod, und keine Menschenseele wird je erfahren, ob er seine Angst bezwingen konnte, bevor dieselbe Kugel erst sein rechtes Auge und danach sein Großhirn zerfetzte. Nichts wird später an ihn erinnern, nur diese Zeilen. Er hätte ein großer Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts werden sollen, doch der Krieg kommt über die Menschen und nimmt sie sich, als stünden sie ihm genauso hilflos gegenüber wie dem Lauf der Gestirne. Dabei sind sie selbst der Krieg, und die Gestirne sind die Gestirne. Mit Hüseyin sitzt nur der zahnlose Steuermann im Heck des Bootes, und der starrt an ihm vorbei nach vorne, mit gelb aufgerissenen Augen. Hüseyin ist ganz aufs Rudern konzentriert. Keiner ist so gut wie er, deshalb haben sie ihn geheuert. Das Wasser liegt still an diesem Morgen, es ist dunkel und doch hell genug, dass er enorme Schwärme Istavrit, jene makrelenartigen Meeresfische, unter der Oberfläche vorbeirasen sieht. Nur sie bringen Unruhe unter das straff gespannte Schwarz, die Erinnerung der vergehenden Nacht. Die Hügel verhängt von dämmernden Nebelschwaden. Es wird ein diesiger Tag werden, einer, an dem das Meer keinen Horizont hat, weil die Farbe des Wassers mit dem Himmel verschwimmt. Ohne Horizont verliert der Mensch den Verstand, hat Hüseyin gelernt. Vielleicht sind wir Schwarzmeertürken deshalb so verrückt. Er zieht kraftvoll die Ruder. Nur ein weiterer Mann aus Hüseyins Gegend sitzt im Boot, der aber ganz vorne im Bug: Topal Hikmet, der Stolperer. Jetzt weist der Steuermann Hüseyin mit schmerzverzerrter Miene, die Ruder einzuholen. Hüseyin will sich umdrehen, doch mit einem schnellen Kopfschütteln zeigt der Zahnlose ihm an, stillzuhalten. Nur kurz kann Hüseyin aus den Augenwinkeln sehen, dass die zwei Soldaten mit traditionellen roten Feshüten aufgestanden sind und ihre M87-Gewehre durchgeladen haben. Die beiden Männer hatten sich Hüseyin nicht vorgestellt, als sie am Nachmittag zuvor in Begleitung des Stolperers auf dem Markt seinen Weg kreuzten, um Tabak von ihm zu kaufen. Zu kriegerischen Preisen, versteht sich, denn es war ja Krieg. Oğlum , Junge, kannst du auch Gewehre reinigen?, fragte der eine Hüseyin. Dann legen wir was drauf, sagte der andere. Kein Wort mehr. Es schien, als machten sie sich nur mit Kopfbewegungen und den schaukelnden Quasten ihrer Fese verständlich. Und wenig später polierte Hüseyin die Halbmonde auf den Kammerstängeln ihrer Mauser-Gewehre. In Wahrheit waren die