Author/Uploaded by Heldt, Dora
Dora Heldt Liebe oder Eierlikör Fast eine Romanze dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München 1. Irgendwas an Hilke war heute anders. Ernst verharrte an der Tür des Gemeindebüros und runzelte verwirrt die Stirn, während er noch überlegte, was es war. Er trat einen Schritt näher und starrte sie so lange an, bis sie den K...
Dora Heldt Liebe oder Eierlikör Fast eine Romanze dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München 1. Irgendwas an Hilke war heute anders. Ernst verharrte an der Tür des Gemeindebüros und runzelte verwirrt die Stirn, während er noch überlegte, was es war. Er trat einen Schritt näher und starrte sie so lange an, bis sie den Kopf hob und plötzlich lächelte. »Moin, Ernst.« Jetzt sah er es: Hilke Petersen trug rosa Lippenstift. Und eine sehr bunte Bluse. Und sie lächelte. Normalerweise lächelte sie nie, zumindest nicht ohne Grund. Und schon gar nicht einfach so zur Begrüßung. Das war nicht ihre Art. Und Ernst konnte das beurteilen, weil er die sonst so spröde Hilke Petersen schon sehr lange kannte, nicht erst seit sie in diesem Gemeindebüro arbeitete und sich um die Belange der Touristen und Insulaner kümmerte, sondern schon als Jugendliche. Also fast ihr ganzes Leben. In dem sie bislang ohne Lippenstift und Lächeln ausgekommen war. Und nie bunte Kleidung getragen hatte. »Komm doch rein«, sagte sie. »Was kann ich für dich tun?« »Ich …«, zögernd trat er näher. »Hast du heute eine Feier? Geburtstag oder so?« »Nein. Wie kommst du darauf?« »Die Bluse«, antwortete Ernst schnell und nickte. »Du hast so eine hübsche Bluse an.« Ernst fand sie viel zu bunt, aber irgendetwas musste er ja sagen. Hilkes Wangen hatten plötzlich dieselbe Farbe wie der Lippenstift. »Vielen Dank für das Kompliment«, sagte sie etwas verlegen. »Sehr aufmerksam.« »Das sieht sehr hübsch aus«, setzte Ernst hinzu. »Sehr … hell.« »Danke«, sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und klaubte ein Haar von der bunten Bluse. »Was wolltest du denn jetzt?« »Ich … ähm«, die veränderte Hilke hatte Ernst völlig aus dem Konzept gebracht, er musste tatsächlich überlegen, was genau er hier eigentlich wollte. Es fiel ihm wieder ein. »Ich möchte gern die Jahresaufkleber für die Einwohner-Besucherkarten. Bevor die Familie kommt. Jetzt geht die Saison ja langsam los und …« »Hast du die Karten dabei?« Hilke hatte schon eine Schublade aufgezogen und die Hand ausgestreckt. Sie hatte auch noch ihre Fingernägel lackiert. In Rosa. Den Blick darauf gerichtet fummelte Ernst seine Brieftasche aus der Jacke und zog die Karten hervor. »Bitte schön.« Sorgsam klebte Hilke die neuen Etiketten über die alten und schob ihm die Karten wieder zu. »15 Euro«, sie sah ihn an. »Dann wollen wir mal hoffen, dass es ein schöner Sommer wird.« »Ja.« Ernst legte ihr das Geld hin und verstaute die Karten, während er noch nach einer klugen Antwort suchte. »Danke. Mein Enkel Mats kommt ja schon demnächst. Alleine. Er hat ja gerade keine Freundin.« »Ist doch schön.« Hilke legte das Geld in die Kasse und schob die Schublade wieder zu. »Also, dass euer Enkel kommt. Brauchst du noch was?« »Nein, nein, vielen Dank.« Ernst schüttelte den Kopf. »Dann gehe ich mal wieder, du hast ja bestimmt noch was Schönes vor. Also, ich meine, wegen der Bluse und so.« Er sah sie abwartend an, sie reagierte nur leider nicht. Stattdessen lächelte sie schon wieder und sagte: »Einen schönen Tag noch.« »Danke, dir auch«, er hob unschlüssig die Hand, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Gemeindebüro. Erst als er draußen vor dem roten Backsteingebäude stand, blickte er sich noch mal um. Er konnte Hilke durch das geöffnete Fenster an ihrem Schreibtisch sitzen sehen. Sie schaute auf ihr Handy und lächelte entrückt. Ernst war jetzt vollends verwirrt. Das passte gar nicht zu ihr. Dieses aufs Handy starren und von der Welt nichts mitbekommen. Das machten doch nur die jungen Leute, die dabei aussahen, als wären sie mit diesem Ding verwachsen. Ernst konnte das nicht leiden. Was um alles in der Welt war denn nur mit ihr los? »Hast du einen Geist gesehen?«, tönte plötzlich eine weibliche Stimme hinter ihm, die Ernst zusammenzucken ließ. Sofort drehte er sich um und sah Hella Fröhlich vor sich. »Ist was passiert?« Das Erste, was ihm an Hella auffiel, war ihr knallgelber Mantel. Hella Fröhlich trug meistens bunte Kleidung, ganz im Gegensatz zu Hilke, aber dieser Mantel war sehr gelb. »Du siehst aus wie ein großes Küken«, stellte Ernst fest und musterte sie. »Du leuchtest.« »Das ist die Absicht«, Hella lächelte ihn breit an. »Ich habe den Frühling eingeläutet.« Sie legte ihren Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken und hielt ihr Gesicht schnuppernd in die Sonne. »Riechst du es auch? Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land «, sie sah ihn an und fuhr in normaler Lautstärke fort: »Schön, oder?« »Nicht so laut«, Ernst runzelte die Stirn und sah sich um. »Muss ja nicht gleich das ganze Dorf hören, wie du Schlager singst. Und hier flattert auch kein blaues Band, sondern nur das rot-weiße an der Absperrung wegen der Kanalarbeiten.« »Das ist Mörike, mein Bester«, Hella schüttelte den Kopf. »Von wegen Schlager, du hast doch keine Ahnung. Hast du schlechte Laune? Statt Frühlingsgefühle? Was ist los mit dir?« Ernst musterte sie lange. Hella Fröhlich hatte immer gute Laune. Sie war auch immer bunt und mit Schmuck behängt. Wie ein altes Zirkuspferd. Das hatte sie selbst mal gesagt, schließlich war sie als junge Frau Schauspielerin gewesen und hatte bis vor ein paar Jahren auch noch auf der Insel bei der Laienspielgruppe mitgemacht. Die ihr aber zu unprofessionell gewesen war. Jetzt mischte sie die Gemeindeveranstaltungen auf, sammelte Geld für den Kinder-Club, organisierte die diversen Festivitäten mit und war ständig auf der Suche nach neuen Vergnügungen. Sie bohrte ihm nun den Finger in die Brust. »Hallo? Was ist los mit dir?« »Ich …«, Ernst drehte sich wieder um, Hilke saß immer noch mit dem Handy in der Hand am Schreibtisch. Er sah zurück zu Hella und deutete mit dem Kopf in Hilkes Richtung. »Ich habe die Jahresaufkleber geholt. Bei Hilke Petersen. Sie war ganz … wie soll ich sagen? Sie sieht aus … also sie hat Lippenstift aufgetragen. Und Nagellack. Und sie hat was ganz Buntes an. Und lächelte die ganze Zeit.« »Hilke Petersen?« Hella folgte der