Author/Uploaded by Salman Rushdie
Südindien im 14. Jahrhundert: Die neunjährige Waise Pampa Kampana wird von einer Göttin auserkoren, ihre menschliche Hülle und ihr Sprachrohr in die Welt zu sein. In ihrem Auftrag erschafft Pampa aus einer Handvoll Samen eine Stadt: Bisnaga – Victory City, das Wunder der Welt. All ihr Handeln beruht auf der großen Aufgabe, die ihr die Göttin gestellt hat: den Frauen in einer patr...
Südindien im 14. Jahrhundert: Die neunjährige Waise Pampa Kampana wird von einer Göttin auserkoren, ihre menschliche Hülle und ihr Sprachrohr in die Welt zu sein. In ihrem Auftrag erschafft Pampa aus einer Handvoll Samen eine Stadt: Bisnaga – Victory City, das Wunder der Welt. All ihr Handeln beruht auf der großen Aufgabe, die ihr die Göttin gestellt hat: den Frauen in einer patriarchalen Welt eine gleichberechtigte Rolle zu geben. Aber die Schöpfungsgeschichte Bisnagas nimmt mehr und mehr ihren eigenen Lauf. Während die Jahre vergehen, Herrscher kommen und gehen, Schlachten gewonnen und verloren werden und sich Loyalitäten verschieben, ist das Leben von Pampa Kampana untrennbar mit dieser Stadt verbunden. Von ihrem Aufstieg zu einem Weltreich bis zu ihrem tragischen Fall. Mit »Victory City« kehrt der große Erzähler Salman Rushdie nach Indien zurück, mit einem modernen epischen Roman über Macht, Liebe und darüber, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, studierte in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman »Mitternachtskinder« wurde er weltberühmt. Seine Bücher erhielten renommierte internationale Auszeichnungen, u.a. den Booker Prize, und sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2007 schlug ihn die Queen zum Ritter. »Literatur, das ist für Salman Rushdie immer die Möglichkeit gewesen, der Welt, wie sie ist, andere Welt-Möglichkeiten entgegenzuhalten. Die Welt neu zu erfinden.« Die Zeit »Mit seiner eindringlichen, unheimlichen, vorausschauenden Kraft zeigt ›Victory City‹ einmal mehr, warum Salman Rushdies Werk immer von Bedeutung sein wird« The New York Times Book Review »Ein Epos über die Kraft menschlicher Kreativität und die Fähigkeit der Kunst, die Welt zu gestalten.« The Guardian www.penguin-verlag.de SALMAN RUSHDIE VICTORY CITY ROMAN Aus dem Englischen von Bernhard Robben Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Victory City bei Random House, einem Imprint von Penguin Random House LLC , New York. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Copyright © 2023 by Salman Rushdie Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023 Penguin Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Kristine Kress Umschlaggestaltung: Favoritbuero Umschlagabbildung: ©Shutterstock/moj0j0; ©Shutterstock/Olga Sabo Satz: Leingärtner, Nabburg ISBN 978-3-641-30051-7 V002 www.penguin-verlag.de für Hanan teil eins GEBURT teil zwei EXIL teil drei RUHM teil vier UNTERGANG teil eins GEBURT 1 Am letzten Tag ihres zweihundertsiebenundvierzig Jahre währenden Lebens beendete die blinde Poetin, Wundertätige und Prophetin Pampa Kampana ihr gewaltiges Prosagedicht über Bisnaga und begrub es in einem wachsversiegelten Tonkrug im Herzen des verfallenen Königsbezirks, eine Botschaft an die Zukunft. Viereinhalb Jahrhunderte später fanden wir diesen Krug und lasen zum ersten Mal ihr unsterbliches Meisterwerk, genannt Jayaparajaya , was so viel wie »Sieg und Niederlage« bedeutet, mit vierundzwanzigtausend Versen lang wie das Ramayana und verfasst in Sanskrit, ein Buch, in dem sie uns all jene Geheimnisse des Reiches verriet, die sie mehr als einhundertsechzigtausend Tage vor der Geschichte verborgen gehalten hatte. Wir kannten nur die übrig gebliebenen Ruinen, und auch unsere Erinnerung an die Geschichte des Reiches lag in Trümmern, zerstört vom Lauf der Zeit, den Unzulänglichkeiten der Erinnerung, den Verfälschungen der Nachgeborenen. Durch die Lektüre von Pampa Kampanas Buch aber wurde die Vergangenheit zurückgewonnen, das Reich Bisnaga so wahrhaft wiedergeboren, wie es einst gewesen war, mit seinen Kriegerinnen, den Goldbergen, der Großmut des Geistes und seinen Zeiten der Kleingeistigkeit, seinen Schwächen und Stärken. Zum ersten Mal vernahmen wir die vollständige Kunde jenes Königreichs, das begann und endete mit einem Brand und einem abgeschlagenen Kopf. Dies hier nun ist seine Geschichte, in schlichterer Sprache nacherzählt von einem Autor, der weder Gelehrter ist noch Poet, nur jemand, der gern Fäden spinnt und diese Version zur schlichten Unterhaltung und vielleicht auch zur Erbauung heutiger Leser darbietet, der alten wie der jungen, der gebildeten und nicht so gebildeten, jenen, die auf der Suche nach Weisheit sind, und jenen, die Narreteien kurzweilig finden, jenen aus dem Norden und jenen aus dem Süden, den Anhängern diverser Götter oder auch keines Gottes, den Weitherzigen und Engstirnigen, Männern und Frauen sowie allen Geschlechtern dazwischen und darüber hinaus, adligen Nachkommen und einfachen Bürgern, guten Menschen und Bösewichten, Scharlatanen und Ausländern, genügsamen Weisen und selbstsüchtigen Trotteln. Bisnagas Geschichte begann im vierzehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung im Süden dessen, was wir heute Indien nennen, Bharat oder auch Hindustan. Der alte König, dessen von den Schultern kullernder Kopf alles in Gang setzte, machte als Monarch nicht viel her, war er doch einer vom Schlag jener minderen Herrscher, wie sie zwischen dem Niedergang eines großen Königreichs und dem Aufstieg des nächsten den Schauplatz der Geschichte betreten. Er hieß Kampila, stammte aus dem winzigen Fürstentum Kampili und war »Kampila Raya«, wobei mit raya die regionale Form von raja , also König, gemeint ist. Diesem zweitklassigen raya blieb auf seinem drittklassigen Thron gerade mal genügend Zeit, eine viertklassige Burg an den Ufern des Flusses Pampa zu bauen, darin einen fünftklassigen Tempel zu errichten und in den Fels eines steinigen Bergs einige vollmundige Inschriften meißeln zu lassen, ehe die Armee aus dem Norden nach Süden zog und ihn sich vorknöpfte. Die nachfolgende Schlacht war eine recht einseitige Angelegenheit und so unbedeutend, dass sich niemand die Mühe machte, ihr einen Namen zu geben. Kaum hatten die Soldaten aus dem Norden Kampila Rayas Truppen besiegt und einen Großteil seiner Armee niedergemetzelt, packten sie sich den Möchtegernkönig und schlugen ihm das ungekrönte Haupt ab, stopften es mit Stroh