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Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna

Author/Uploaded by Ruge, Eugen

Eugen Ruge Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna Roman dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München Als Koch hast du gearbeitet und als Kalkbrenner, Wurstmacher und Bäcker, du bist Bauer gewesen, hast bronzenen Kleinkram hergestellt, du bist Hausierer gewesen und jetzt machst du Krüge. Hast du aber Fotzen geleckt, dann hast du alles gehabt. Graffito in Pompeji, Praedia der Iulia Felix (Regio...

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Eugen Ruge Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna Roman dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München Als Koch hast du gearbeitet und als Kalkbrenner, Wurstmacher und Bäcker, du bist Bauer gewesen, hast bronzenen Kleinkram hergestellt, du bist Hausierer gewesen und jetzt machst du Krüge. Hast du aber Fotzen geleckt, dann hast du alles gehabt. Graffito in Pompeji, Praedia der Iulia Felix (Regio II, Insula 4, Eingang 10 – Hintereingang) Glücklich ist dieser Ort! Graffito in Pompeji, aus der Via Stabiana Ich verabscheue die Armen! Wer auch immer etwas umsonst erbittet, ist ein Holzkopf. Graffito in Pompeji, Fassade einer Bäckerei ( I 12 , 3) Sodom(a) Gomora Graffito in Pompeji, Speisezimmer des Hauses ( IX 1 , 26) Vorrede Sogar der Kaiser, erzählt man, habe geweint: der göttliche Titus, Bezwinger Jerusalems. Soll man es glauben? Jedenfalls hat er den Überlebenden Hilfe versprochen: Aufbauhilfen, Entschädigungszahlungen für den verlorenen Besitz. Was natürlich Besitz voraussetzt. Und dass man überlebt hat, klar. Vermutlich hat der Göttliche nach den ersten Berichten, die von Misenum nach Rom getrommelt wurden, damit gerechnet, dass es nur noch Wenige gebe, die Entschädigung beanspruchen könnten. Aber da hat er sich geirrt. Abgesehen davon, dass sich die meisten Landhausbesitzer am Tag der Katastrophe auf ihren Landgütern befanden – es war prächtiges Wetter, ein milder, duftender Herbst –, hätten die Berater seiner kaiserlichen Majestät selbige darauf aufmerksam machen können, dass es so etwas wie Erben gibt: Ehegatten und Söhne, Enkel und Neffen oder, wenn gar nicht anders, die Tochter der Ehefrau des Onkels des Enkels des Verstorbenen und so weiter. Wenn es um Besitz geht, findet sich immer jemand, der Anspruch erhebt. Und es findet sich immer ein Anwalt, der sich erbietet, diesen Anspruch durchzusetzen. Und so sind sie nach Rom gefahren, die Besitzenden oder angeblich Besitzenden, die tatsächlichen und vermeintlichen Anspruchsberechtigten, die Schönen und Reichen ebenso wie die Hässlichen und Reichen, ganz gleich, ob samnitischer oder latinischer Herkunft, ob Popularen oder Optimaten, ob ehemalige Befürworter oder Gegner Josses. Beim Geld hört die Feindschaft auf. Alle sind sie nach Rom gefahren, bereit und willens, der Kommission, die der Kaiser aufgrund des Andrangs hat gründen müssen, Rede und Antwort zu stehen. Zeugen werden bemüht, um Grundflächen verschütteter Villen zu bestätigen und nie gesehene Wandgemälde zu taxieren; Gutachten werden erstellt und Listen ominöser Wertgegenstände erarbeitet; Rechnungen werden gefälscht und erstaunliche Geldbeträge erinnert. Es wird gefeilscht und verhandelt, ein langwieriger Prozess, die Kommission ist überfordert, die Wartezeiten sind erheblich, und die Anträge stauen sich. Schon wächst das erste Gras auf der Asche. Schon haben die Mauerspechte, wie sie genannt werden, die wenigen Überreste abgetragen, die aus dem Schutt hervorragten, schon wird der Marmorgiebel des Kapitols in Einzelteilen im neapolitanischen Baustoffhandel verkauft. Aber noch immer residieren die Antragsteller wartend in römischen Hotels oder Gästezimmern und verbringen ihre Abende damit, die notorisch gelangweilte Gesellschaft mit Berichten über die Katastrophe zu unterhalten, die sie größtenteils gar nicht miterlebt haben. Gewiss, man muss kein Vogel sein, um den Himmel zu beschreiben. Und manches sieht man aus der Entfernung sogar besser. Da, wo für die Dabeigewesenen nur Dunkelheit und Verwirrung gewesen ist, hat der entfernte Betrachter das Schauspiel in voller Ausdehnung bewundern können: jene inzwischen berühmte Wolke, die sich, je nach Berichterstatter, wie eine Pinie oder ein Schirm oder eine Stierleber, wie ein Geschwür oder ein Grünkohl über dem Monte Somma (oder neben dem Monte Somma, über dem kleineren Vesuv) erhob und irgendwann, nach acht oder zehn oder möglicherweise auch nach zwölf Stunden, in sich zusammensackte und, je nach Berichterstatter, mit der Geschwindigkeit einer Flutwelle oder eines Streitwagens, eines Pfeils oder eines aus dem dritten Stock herabfallenden Soldatenstiefels an den Hängen des Gebirges hinabstürzte und alles, was ihr im Weg war, unter sich begrub. Aus heiterem Himmel, so heißt es immer wieder, sei das Unglück gekommen. Diesen Eindruck scheinen auch die zu bestätigen, die an Wirtshaustischen oder auf Marktplätzen ihre Version der Katastrophe zum Besten geben, angefeuert von den Spenden der sie Umdrängenden, sei es in Form geistiger Getränke oder geprägter Münze. Die Leute, die hier zu Wort kommen, sind zumeist plumpe, ungewaschene Gestalten, das sogenannte Volk; es neigt bekanntlich zu Übertreibungen. Die Erzähler überbieten sich gegenseitig, stacheln einander auf, und es bleibt nicht aus, dass sie einander Dinge bestätigen, die sie nie gesehen haben, nur um nicht als dumm dazustehen. Nicht bloß vom Steinregen ist immer wieder die Rede, von Asche und giftigem Rauch; manche wollen den Geistern der Unterwelt begegnet sein, obgleich sie angeblich die Hand vor Augen nicht mehr sahen; von Manen oder Lemuren wird erzählt, von fackelschwingenden Furien oder von Feuerschriften, die Iupiter höchstpersönlich mit Blitzen an den sich plötzlich verdunkelnden Himmel geschrieben hat.Mancher Dahergelaufene soll sich inzwischen von Geschichten ernähren, die er anderen abgelauscht hat, und es heißt, man habe in Gallien – so weit sind die Berichte schon vorgedrungen – jemanden erschlagen, weil er es mit dem Übertreiben übertrieb: Er hatte behauptet, das Meer vor Pompeji sei im Laufe von Stunden um mehrere hundert Meter zurückgetreten – eine Behauptung, von deren Richtigkeit man sich allerdings am Ort der Katastrophe noch immer überzeugen kann! So wird geredet, von Göttern und Furien, vom röchelnden Tod, von einer schwarzen Grünkohl- oder Stierleber-Wolke; Verluste und Opferzahlen werden genannt und, je nach Absicht, unter- oder übertrieben; Wahres und Falsches wird berichtet, Gesehenes und Erträumtes, Gehörtes und Wiedergekäutes, ganz wie es sich nach einer solchen Katastrophe gehört. Nur eins ist auffällig: Niemand nennt die Sache bei ihrem Namen. Niemand spricht es aus, das Wort, das doch eben noch in aller Munde war: das V-Wort. Und wenn ein Außenstehender es ahnungslos in die Runde wirft, dann passiert es, dass die Anwesenden zusammenzucken; ihr Gesicht nimmt den ungewohnten Ausdruck von Nachdenklichkeit an, den man leicht mit dem der Betroffenheit verwechselt; der Außenstehende beeilt sich, das Thema zu wechseln, andere helfen dem stockenden Gespräch mit freundlichen Belanglosigkeiten auf den Weg. Die Eingeweihten aber wechseln scheue Blicke und sind sich stillschweigend einig, nicht mehr daran zu rühren. Man muss schließlich weiterleben in der geretteten Haut, mit seinen Dummheiten und Schandtaten. Aus heiterem Himmel? O

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